Von Gunnar Saft
Rudolf Häntzschel aus Sebnitz war ein zäher Hund. Wenn
sich die Leute über ihn das Maul zerrissen, focht das den eigenwilligen Wanderfreund nie
an. Auch nicht in den sechziger Jahren, als sich Häntzschel regelmäßig mit einem Packen
Alteisen unterm Arm auf den Weg zu seiner ,,Baustelle" in die Sächsische Schweiz
aufmachte.
Im Gebiet der Affensteine zimmerte und hämmerte er wochenlang an einem Felsenaufstieg,
der jedem Bezwinger einen wunderbaren Blick auf die einzigartige Naturlandschaft bieten
sollte. Daß schon damals der Vorwurf einer illegalen Erschließung die Runde machte,
verhinderte am Ende nicht, daß die inzwischen als Häntzschelstiege bekannte Attraktion
jedes Jahr Tausende Besucher anlockt. Der Erfolg schien dem Eigenbrötler, der 1987 im
hohen Alter starb, nachträglich Recht zu geben.
Beliebten Wanderrouten droht das Aus.
Inzwischen ist jedoch ungewiß, wie lange die
Häntzschelstiege - und mit ihr auch andere Aufstiege und Wanderpfade in der Sächsischen
Schweiz - noch ohne weiteres für jedermann begehbar bleiben. Der Grund ist ein schlichtes
Papier, das - noch unveröffentlicht in der Schublade liegend - bereits viele Gemüter
erregt: der Entwurf einer neuen Wegekonzeption für den Nationalpark Sächsische Schweiz.
Hinter dem spröden Titel steckt Brisantes. Die Parkverwaltung ist damit zunächst nur
ihrer gesetzlichen Pflicht nachgekommen, das umfangreiche Wegesystem in der sächsischen
Felsenwelt auf eine Dauernutzung hin zu überprüfen. Das Problem: Routen, die dem
Schutzgedanken des Nationalparks widersprechen, droht künftig eine Sperrung für Besucher
oder der Rückbau.
Immer mehr Wanderfreunde und Bergsportler erahnen inzwischen das Ausmaß des angelaufenen
Projekts. Auf diese Weise könnte schon bald Schluß sein mit dem gewohnten freien Zugang
zu vielen geliebten Plätzen. Erste Wegnamen machen die Runde: Obere Affensteinpromenade,
Rotkehlchenstiege oder der Goldsteig. Und je mehr Namen gehandelt werden, um so stärker
formiert sich Widerstand.
Dr. Jürgen Stein, Chef der Nationalparkverwaltung Sächsische Schweiz, ist sich seit
langem bewußt, was ihm und seinen Mitstreitern in den nächsten Wochen ins Haus steht:
heftige Diskussionen über den Sinn und Unsinn einzelner Wegsperrungen. Noch ist er
optimistisch. Sollten die Auseinandersetzungen sachlich ablaufen glaubt er sich mit
Argumenten gewappnet. ,,Schließlich wollen wir die traditionellen Wanderwege
grundsätzlich erhalten", erklärt Stein. Praktisch könne sich so jeder Besucher auf
der, Gesamtlänge von 426 Kilometern die Hakken wundlaufen. Mehr habe in Deutschland kein
anderer Nationalpark aufzuweisen.
Probleme, so räumt Stein ein, gibt es dagegen mit jenen Pfaden und Aufstiegen, die
niemals offiziell angelegt worden sind, sondern im Lauf der Jahre durch den starken
Besucheransturm entstanden sind. Dieses Wegenetz sei mittlerweile viermal so groß wie die
eingetragenen Routen. Hier müsse über Einschränkungen geredet werden.
Seinen derzeit heftigsten Kritikern - den Bergsportlern - bietet er dabei Kompromisse an.
Zwar sollen die Zugänge zu den meisten Kletterfelsen künftig nicht mehr allein mit
Hinweisschildern ,,Achtung, kein Wanderweg", sondern zusätzlich mit einem
Absperrgeländer versehen werden. Vor allem um Touristen davon abzuhalten, diese nicht
gesicherten Wege zu benutzen. Bergsteiger könnten jedoch dank eines eingebauten,
treppenartigen Übersteigs die Barrieren jederzeit überwinden.
Damit glaubt Stein eine vernünftige Lösung gefunden zu haben. ,,Wir verhindern, daß
immer mehr Touristen auf immer mehr Wegen im Nationalpark unterwegs sind. Gleichzeitig
wird dafür gesorgt, daß die Kletterfelsen wie bisher genutzt werden können."
Doch auch diese Variante hat Grenzen. Der Behördenchef muß zugeben, daß trotzdem nicht
jeder traditionelle Weg erhalten bleiben soll. Einerseits sei der Aufwand zur Erhaltung
häufig viel zu hoch. ,,Außerdem können wir kostbare Waldbestände, die zum Teil unter
die höchste ökologische Wertigkeit fallen, sonst nicht ausreichend schützen." Ein
vielzitiertes Beispiel dafür ist die unscheinbare Krähenbeere, die als sogenanntes
,,Eiszeitrelikt" zu den botanischen Raritäten zählt. Das Vorkommen dieser
trittempfindlichen Pflanzen hat sich seit 1990 fast halbiert. Ein Verschwinden der Art sei
in den, nächsten Jahren nicht auszuschließen, warnt ,die Nationalparkverwaltung.
Absperrungen und Zäune werden nötig sein, um den Besucherstrom vom Betreten der
geschützten Plätze abzuhalten.
Druckstopp für neue Landkarte
Noch ist offiziell nicht bekannt, wieviel und welche Wege künftig von den Absperrungen
betroffen sein werden. Alles ist noch offen, heißt es dazu bei der
Nationalparkverwaltung. Erst im Herbst soll das Konzept endgültig bestätigt werden. Bis
dahin seien Änderungen jederzeit möglich.
Kritische Naturfreunde zweifeln an dieser Aussage und verweisen darauf, daß die
Nationalparkverwaltung bereits eine neue Wanderkarte für die Sächsische Schweiz
erarbeitet hat. Darauf würden aber nur, noch die von der Behörde erwünschten Wege
auftauchen.
Jürgen Stein wiegelt ab. ,Wer so etwas glauben will, den könne er nicht daran hindern.
Ansonsten handele es sich bei der Landkarte um ein Angebot ausschließlich für Touristen.
Alle Wege des Nationalparks darin aufzuführen, sei unnötig. Dennoch konnte auch er nicht
verhindern, daß das Dresdner Umweltministerium erst einmal einen Druckstopp für das
umstrittene Werk ausgesprochen hat. Ende Juni soll es zu einem Treffen mit
Naturschutzverbänden, Bergsport- und Wandervereinen kommen. Danach werde man
weitersehen...