Zankapfel Grenzweg
Strafbescheid nach Protest-Wanderung / Deutliche Bitte der tschechischen
Seite
Von Jochen Mayer
Der Streit um die Wanderwege in der Sächsischen Schweiz zog sich hin.
Zweieinhalb Jahre stritten Bergsportverbände, sächsisches
Umweltministerium, Nationalpark-Verwaltung, Tourismus- und Forst-Behörden
um einen Kompromiss. Die ausgehandelte Wegekonzeption stand inzwischen im
sächsischen Amtsblatt. Als Prinzip ist festgeschrieben: In der
Nationalpark-Kernzone sind nur markierte Wanderwege freigegeben. DAS
PROBLEM
Der Grenzweg gehört nicht dazu. Im April widersprachen Wanderer und
Bergsteiger einer Pressemitteilung der Nationalpark-Verwaltung. Im
Mitteilungsblatt des Sächsischen Bergsteiger-Bundes (SBB) erklärten sie,
"dass zur Sperrung des Grenzweges am Großen Winterberg in der gemeinsamen
Arbeitsgruppe leider kein Konsens erreicht wurde". Durchgesickert war,
dass es zu diesem Thema fast diplomatische Verwicklungen mit den
tschechischen Nachbarn gab. Die haben großes Interesse daran, ihren
böhmischen Nationalpark ebenfalls mit einem Regelwerk zu ordnen.
DER UNMUT
Lothar Hempel kennt den Grenzweg ewig. "1960 bin ich ihn erstmals
gegangen", erinnert sich der Dresdner. "Die Grenzposten drückten ein Auge
zu. Seit 1961 war der Weg offen. Er sollte es auch bleiben - allein wegen
der tollen Aussicht. Ich sehe keine naturschutzfachlichen Gründe für eine
Sperrung." DIE AKTION
Lothar Hempel weiß, wie sich "verschlossene Wege" öffnen können. Über die
von einer Sperrung bedrohte Häntzschelstiege wurde 1999 gesprochen, als er
mit einem Biwak-Fernseh-Team den Klettersteig meisterte. Den Bildern
folgte Bewegung um die Stiege, die heute offen ist. Ähnliches wollte
Lothar Hempel am Grenzweg erreichen. "Ich meldete im vergangenen November
eine Wanderung auf gefährdeten Pfaden an", schilderte der Wander-Leiter
seine Vorbereitungen. Am 12. Juli traf sich Lothar Hempel mit 47
Mitstreitern und ging den Grenzweg als "Protest-Wanderung".
DIE STRAFE
"Bei unserem Aufstieg wurden wir in der Kernzone von einem Jeep
begleitet", beschreibt Lothar Hempel den Protest-Tag. "Am Ende nahmen
Nationalpark-Ranger meine Personalien auf. Wir sind uns dabei nicht in die
Wolle gekommen." Im August bekam der Wanderleiter vom Regierungspräsidium
einen "Anhörungsbogen" wegen "Verlassen der ausgewiesenen Wege in der
Kernzone des Nationalparks". Lothar Hempel erläuterte seine Position. Im
November erhielt er einen Bußgeldbescheid über 286,00 Mark (146,23 Euro).
Falls er nicht zahlt, droht Erzwingungshaft.
DIE FRAGEN
Lothar Hempel legte dagegen Einspruch ein. Seine Argumente: "Gewaltfreier
Protest muss doch möglich sein. Oder sollen, wie bereits vor 1989
geschehen, die Kritiker mundtot gemacht werden? Ich hörte von
verschiedenen Seiten: Steh das jetzt durch. Das soll wohl ein
Präzedenzfall werden?" Und er fragt sich: Wieso trifft es ihn allein, es
war ja eine große Gruppe unterwegs? Sollten staatliche Organe so vorgehen
wie am Grenzweg?
DIE VERWALTUNG
Jürgen Stein sieht kein Exempel in diesem Fall. Für ihn gehört der
Grenzweg nicht zu den offenen Wegen, das Amtsblatt hatte das vorläufig
endgültig letzte Wort, ein bindendes für alle. "Rund 95 Prozent der
Wanderer halten sich daran, mit dem Rest müssen wir diskutieren", sagt der
Chef der Nationalpark-Verwaltung Sächsische Schweiz. "Zeigt sich jemand
nicht einsichtig - das ist die Ausnahme -, leiten wir es weiter." So
landete die "Protest-Wanderung" beim Regierungs-Präsidium und befindet
sich nun in der Phase eines schwebenden Verfahrens. Die
Wanderwege-Konzeption bestätigte grundsätzlich das Umwelt-Ministerium.
DAS MINISTERIUM
"Der Grenzweg ist gegenwärtig nicht verhandelbar", stellt Hans-Jörg
Vorberger klar. Der Referatsleiter Schutzgebiete in Sachsens
Umwelt-Ministerium versteht die Wünsche der Wanderer und will "kein
Porzellan zerschlagen". Andererseits sieht er die Zwänge: "Die
tschechische Seite hat uns deutlich gebeten, für eine Beruhigung im
Bereich des Grenzweges zu sorgen. Vielleicht lässt sich in einigen Jahren
neu darüber reden." Im Moment muss allerdings jeder mit Strafen rechnen,
der in der Kernzone nicht ausgewiesene Wege wandert.
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