Kreuzturm Nordwand
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Foto: Walter Hahn

DIE NORDWAND AM KREUZTURM
Otto Jüngling

   

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Nach eingehendem Studium erklärte Mani den Quergang als eines Versuches wert. In der Scharte angelangt, wurde auch sofort der untere Quergang probiert. Wir kamen allerdings bei der schon vorgeschrittenen Tageszeit nicht weit und verschoben den Angriff auf den folgenden Sonntag.

Es dauerte ein paar Tage länger. Erst am Mittwoch konnte Mani seinen Urlaub antreten und nachkom­men. Waren auch diese ersten Novembertage noch verhältnismäßig warm und die an sich wenigen Kletterer in der damaligen Kriegszeit — wir schrieben das Jahr 1915 — während der Wochentage nicht in den Bergen, so daß wir völlig ungestört und unbeobachtet waren, so wehte doch ein ziemlich scharfer Westwind, der es Mani unmöglich machte, an den winzigen Griffchen und Tritten des unteren Bandes das Gleichgewicht sicher genug aufrechtzuerhalten. Um einem Absturz schon hier unten vorzubeugen, schlug er einen Ring. Es half ihm dies jedoch auch nicht weiter. Wir gaben deshalb den Versuch auf und wandten uns anderen Felsen zu.
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Sträubte sich unsere Wand auch noch so sehr, wir ließen uns nicht abschrecken. Eine Woche später griffen wir erneut an. Und wieder war alle Mühe vergebens. Immer an der gleichen Stelle schlug uns die Wand ab. Heute waren wir beobachtet worden. Nun wurde es höchste Zeit, zum Sturm überzugehen.

Der 30. April 1916 brach an. Mit dem Vieruhrzug fuhren wir hinaus, um vor unliebsamen Überraschungen sicher zu sein. Ungesehen kamen wir ans Ziel. Noch mußten wir bei einem kleinen Feuerchen warten, bis die Morgenkühle gewichen war. Dann aber standen wir sogleich beide auf den uns schon reichlich bekannten Plätzen. Schnell hatte Strubich den Ring erreicht, kannte er doch bis dahin jeden Griff und Tritt. Diesmal wehte nur ein leises Lüftchen von Osten. Manis schon sattsam bekannte Rückzugsbegründung fiel daher aus. Er dachte aber auch gar nicht daran. Nur wenige Augenblicke verweilte er nach dem Einseilen an den Ring (Karabiner verwandten wir zu jener Zeit noch nicht) an der kritischen Stelle, dann schob er sich mit den für ihn so typischen, ebenso vorsichtigen wie geschmeidigen und flüssigen Bewegungen weiter nach rechts hinaus. Rasch war der schräg rechts aufwärts ziehende Hangelriß erreicht, an dessen unterem Ende in Bandhöhe ein großer Tritt beiden Füßen bequemen Stand bot. Nach dem guten Beginn suchte Mani keine große Rast; höher oben bei einer kleinen Birke lockte nahe der Westkante ein noch viel luftigeres Plätzchen. Schnell ging er die Hangel hoch, und schon saß er, vergnügt lachend, neben dem maigrünen Bäumchen, aufmerksam den hier beginnenden Quergang musternd.

„Nachkommen!" hallte sein Ruf herab. Mit etwas gemischten Gefühlen betrat ich den Weg, der uns so viel Kopfzerbrechen verursacht hatte, war doch die Sicherung durch den in gleicher Höhe befindlichen Ring ziemlich problematisch. Es ging besser als gedacht. Das Aus- und Einseilen am Ring kostete ein paar Minuten Zeit. Endlich konnte es weitergehen. Mit größter Vorsicht tastete ich mich voran, denn die schräg nach oben führende Sicherung hätte mich bei einem Abgleiten nicht vor einem weiten Hinauspendeln bis zur Westkante bewahrt.

Glücklich erreichte die Rechte die Hangel. Ich atmete befreit auf, als der rechte Fuß nach weitem Spreizschritt den großen Tritt fühlte. Die Linke faßte nach — da brach knirschend der Block heraus und polterte in die Tiefe, wo er in tausend Trümmer zerschellte. Mani straffte in Sekundenschnelle das Seil, doch meine Hände hielten fest. Mit etwas zwiespältigen Gefühlen klomm ich zur Birke hinauf.

Strubich räumte mir seinen vorzüglichen Platz. Wir wechselten einige Bemerkungen über das nächste Wegstück und einigten uns über die sicherste Seilführung; einen Ring hielt Mani für überflüssig. Das Birkenstämmchen war zwar nur etwa daumenstark, aber fest nach unten und oben verwurzelt, und selbst bei einem Sturz bestand keine Gefahr, es herauszureißen. Im Wurzelbogen lag das Seil völlig sicher, zumal es ja noch in der üblichen Weise über meine Schulter lief. So konnte der entscheidende Gang unbesorgt angetreten werden. Das übersehbare Stück bis zu einer leicht vorspringenden Wandstelle bot geringere Schwierigkeiten als befürchtet. Dann aber war ein bedenklicher Trittwechsel erforderlich, zu dem nur für eine Hand ein schwacher Reibungsgriff vorhanden war. Manis unübertreffliche Sicherheit gab mir auch hier keinen Anlaß zu Befürchtungen, wie auch er sich auf meine Sicherung unbedingt verlassen konnte. Bald verschwand er meinen Blicken um den Vorsprung und tauchte etwas höher wieder auf. „Gemacht!" war sein einziges Wort, und nach einer Pause:

„Komm!" überraschenderweise machte mir dieser Quergang weniger zu schaffen als der untere. Eher als gedacht war ich bei Mani, und froh drückten wir uns wortlos die Hände. Der nun folgende Riß konnte uns kaum noch aufhalten.

Ziemlich früh am Vormittag betraten wir den Gipfel. Die Nordwand hatte sich unserem heißen Werben ergeben. Nochmals ein fester Händedruck, ein frohes „Bergheil!" — da schallten von unten Rufe herauf. In unserer Kletterfreude hatten wir nicht bemerkt, daß wir beobachtet worden waren. Wir erwiderten nur kurz und streckten uns dann auf dem Gipfel in der warmen Sonne aus und genossen beseligt die Ruhe. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir, Hunger und Durst vergessend, da oben köstliche Gipfelrast hielten. Es war wohl schon in den späten Nachmittagsstunden, als wir auf dem Alten Wege zur Scharte abstiegen und ein wenig aßen. Dann eilten wir an den Ostwänden der Morschen Zinne hoch zur Scharte am Bergleib und zur Oberen Affensteinpromenade, um, zufrieden mit dem Erfolg des Tages, nach Schmilka zu gehen. Erst dort in der „Helvetia" wurde der nun energisch sein Recht fordernde Magen befriedigt, und bei einigen Glas schäumenden Münchner Bieres feierten wir den errungenen Sieg.
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