Lok Esse
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    Aus dem interessanten Bericht des Erstbegehers Albert Kunze in Nr. 6 der Mitteilungen des SBB - leicht gekürzt
   
   
   

“Ich selbst bestieg den ‘Domgipfel’ im Sommer 1902 mit meinem Freunde Oliver Perry-Smith...Eingehend prüften und besprachen wir damals das ‘Essen-Problem’. Möglich erschien uns zunächst nur der Weg auf der dem Lamm zugekehrten Ostseite unter Benutzung des in Höhe von etwa 4 bis 5 Meter beginnenden Risses... Bald standen wir auf der 2 Meter hohen Felsleiste und versuchten, den Riß unmittelbar über die senkrechte Wand zu erreichen. Aber all unser Mühen war vergebens, unser damaliges Können war solchen Aufgaben noch nicht gewachsen. Hinter der Leiste fanden wir eine Flasche mit den Karten von Dr. O. Schuster und Dr. F. Brosin. Also auch diese Erschließer unserer schönen Bergeswelt hatten die Besteigung der Esse nur von der Lammseite für möglich gehalten und vergebens versucht. Aber mit diesem Mißerfolg gaben wir uns nicht geschlagen, und noch mancher Sonntag fand uns am widerstrebenden Felsen. Doch alle Versuche, die Esse ‘frei’, also lediglich mit Hilfe unserer Hände und Füße, zu besteigen, waren vergeblich. So beschlossen wir, ein Ausrüstungsstück zu Hilfe zu ziehen, das bei alpinen Besteigungen allgemein im Gebrauch war und ist und dessen Benutzung in den Alpen von jeher als durchaus zulässig und einwandfrei gilt. Ich meine den Eispickel; denn soviel stand für uns trotz der damaligen Ungeklärtheit unserer Begriffe von ‘künstlichen Hilfsmitteln’ fest: Verschandelt werden durfte der Fels auf keinen Fall. Das Schlagen von Griffen oder Tritten kam für uns nicht in Frage... So stieg ich denn an und kam wirklich unter Zuhilfenahme des Pickelstieles rasch empor, schon konnte ich in den Riß hineinsehen, als der Pickel nachgab, da seine Spitze langsam aber sicher herausrutschte. Krampfhaft versuchte ich, einen brauchbaren Griff zu finden. Vergebens. Ich sauste die wenigen Meter wieder hinunter, meinem auf der Felsseite stehenden Freunde grade in die Arme. Mit seinen Bärenkräften drückte er mich an die Wand, bis ich selbst Halt fand. Geschehen ist mir weiter nichts...”

Das ist die Vorgeschichte der Esse Lammseite, die erst zwei Jahre später von Oliver Perry-Smith und Rudolf Fehrmann erstmalig durchstiegen wurde. Albert Kunze schildert weiter, wie er in Gemeinschaft mit Perry-Smith am 16. Mai 1903 den zwar geglückten Versuch unternahm, mittels Seilwurf über die Pfeife auf den Gipfel zu gelangen.

"Der Gedanke an den leidigen Seilwurf ließ jedoch die rechte Gipfelfreude nicht aufkommen. Und der Rest der Freude wurde uns noch genommen, als ältere Bergfahrer uns belehrten, unsere ‘Besteigung’ zähle sportlich nicht mit, Seilwurf sei als Hilfsmittel nicht zulässig. Wir waren ganz geknickt, um so mehr, als wir die Berechtigung des Einwurfes ohne weiteres anerkennen mußten. Und das Eine stand seitdem fest: nur durch eine freie Besteigung ohne jedes künstliche Hilfsmittel konnten wir unseren Fehler wieder gutmachen. Dies zu tun, waren wir fest entschlossen ... (7. Juni 1903) ... Noch einmal sehe ich mich nach meinem Fahrtgenossen um...
Dann tasten sich meine Füße vorsichtig bis an den äußersten Rand der Kluft vor. Drohend gähnt mich die tiefklaffenden Schlucht an, und je länger ich zur Essenwand hinüberschaue, um so weiter scheint sie zurückzuweichen. Wenn ich nicht wüßte, daß der Spalt noch nicht 1 ½ Meter breit ist und wenn ich nicht schon selber einmal den Abgrund überspannt, nimmermehr möchte ich glauben, daß ein Menschenkind bis zu jener kleinen Abschrägung da drüben hinüberspreizen könnte. Alles flimmert vor den Augen, im Ohre höre ich das Blut rauschen. Ich muß heraus aus diesem unerträglichen Zustande. Darum säume ich nicht länger, sondern beginne wie vereinbart zu zählen: ‘eins’ - - - ‘zwei’ - - - ‘drei’ - - -. Es ist etwas zauberhaftes um dieses kleine Wörtchen ‘drei’, wie ein Ruck fährt es durch den Körper und reißt die Glieder vorwärts, man mag wollen oder nicht, und auf ‘drei’ trete ich hinaus ins Ungewisse, im selben Augenblick gibt Freund Oliver das Seil nach, mein rechter Fuß schiebt sich und streckt sich vor, so weit er nur vermag und - o, Jubel! - es gelingt: Drüben an der Esse findet der Kletterschuh Halt und ich stehe fest, eine lebende Brücke über dem Abgrund...
(Auf dem Gipfel angelangt) ... Jetzt erst ist die Esse wirklich unser.”

   
   

Dieser etwas weitläufig wiedergegebene Bericht verdient insofern Beachtung, als er ein leuchtendes Beispiel dafür ist, wie immer wieder den sportlich strengen Begriffen unseres heimischen Bergsteigertums zum Siege verholfen worden ist. Der dritte Teilnehmer Hermann Simon vom Klub “Mönchsteiner” wurde übrigens von den Erstbegehern als “Zeuge” zur Teilnahme eingeladen.
Uwe Mildner

   
    Dank an Karsten Kurz und Uwe Mildner

Ungekürzte Fassung in Vorbereitung
   

 

letzte Bearbeitung: 24.12.02

 

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