Zur ,,Waldsperre"
Auf Grund reichsrechtlicher Bestimmungen ist unterm 13. August 1934
für Sachsen eine Verordnung erlassen worden, die das Betreten der Wälder zur Nachtzeit
,,außerhalb der zum allgemeinen Gebrauche bestimmten Wege" verbietet; diese
Nachtzeit ist je nach der Jahreszeit verschieden festgelegt, in der Zeit. vom November bis
mit Februar gelten dafür die Stunden von 4 Uhr nachmittags bis 7 Uhr morgens Einige
Forstrevier-Verwaltungen, so Hinterhermsdorf, haben es nun für angebracht gehalten, die
obige wohlgemeinte und in ihrer Beschränkung für den Wanderer und Bergsteiger ohne
weiteres tragbare Verordnung dazu zu bemühen, dem Wanderverkehr in ihrem Gebiete
Handschellen und Fußketten anzulegen, indem sie unter Nichtachtung von seit Jahrzehnten
in Rechtslehre und Rechtsprechung feststehenden Begriffen unter ,,Wegen, die zum
allgemeinen Gebrauche bestimmt", nur die sogenannten ,,öffentlichen Wege" im
engeren Sinne verstehen wollen. Demzufolge wären z. B. im Zeughausgebiet nur die
Kirnizschtal- und die Zschandstraße frei, alle sonstigen Fahrstraßen und Fußwege von 4
Uhr nachmittags an gesperrt; für Wochenendfahrer wären also z. B das Zeughaus und
Hinterhermsdort von Schmilka aus am Sonnabend nachmittag überhaupt nicht erreichbar. Die
Forstbehörde ist soweit gegangen, Wanderer, die in den Abendstunden die Fahrstraße
Hinterbermsdorf-Zeughaus, den sogenannten Saupsdorfer Weg, gingen, mit Strafverfügungen
zu verfolgen. Es ist zu begrüßen, daß das Amtsgericht Sebnitz die eingeleiteten
Strafverfahren - wohl in Erkenntnis von deren Unhaltbarkeit - unter Übernahme der Kosten
auf die Staatskasse eingestellt hat, aber ebenso bedauerlich ist, daß die
Forstrevierverwaltung Hinterhermsdorf von ihrer genau so unhaltbaren, im übrigen recht
wenig volksfreundlichen Auflassung nicht abzubringen war, einer Auflassung, die mit dem
Gesetz unvereinbar ist und dem Leitworte der Reichsregierung: ,,Gebt dem Volke Kraft durch Freude!" ins Gesicht schlägt. Die in
die Zimmerzellen, in die öden Steinmauern und lichtlosen Straßenschluchten
eingekerkerten Hunderttausende von arbeitenden oder - leider auch arbeitslosen Menschen
brauchen eine Zuflucht vor der Qual und der Unrast der Großstadt, und diese Zuflucht ist
unsere allewige, allgütige Natur mit ihrer stillen Kraft, mit ihrem Trost, mit ihrem
Frieden, der wieder. Frieden gibt. Dort sind die festen Wurzeln unsrer Kraft, dort erleben
wir Großstädter, die wir der ,,Verameisung" zu verfallen drohen, wieder die
urtümliche Verbundenheit mit der mütterlichen Erde, und erfrischt und gestärkt an Leib
und Seele kehren wir zu unserem Tagewerke zurück, mehr als je Heimat und Vaterland mit
unserem Herzblut verbunden. Und aus diesem Gottesgarten sollen wir jetzt mit dem
Glockenschlag Vier vertrieben werden? Von vier Uhr an darf unsere Brust die freie Bergluft
nicht mehr atmen, darf unser Auge nicht mehr von den Höhen den erlöschenden Tag und dann
den Fackeltanz der himmlischen Irrlichter schauen, darf unser Ohr nicht mehr das Rauschen
der Bäume und den Schrei des Falken hören? Bergsteiger, Wanderer! Achtet das Gesetz, aber laßt euch nicht irre
machen durch Willkür, die mit dem Gesetze nichts zu tun hat. Vermeidet Wege, deren
Betreten auf Grund des Feld- und Forststrafgesetzes durch besondere behördliche
Verfügung verboten ist, geht zur Nachtzeit nicht außerhalb der dem allgemeinen Gebrauche
dienenden Wege, also nicht auf weglosem Gelände, nicht auf Schneisen ohne ausgebaute
Wege, nicht auf Pfaden, die Waldarbeiter, Beerensucher, Jäger, Bergsteiger selbst
getreten haben - aber zieht getrost auf den anderen, auch sogenannten nichtöffentlichen
Wegen, insbesondere allen durch Wegweiser oder Markierungen gekennzeichneten Wegen, denn
diese sind zweifellos ,,für den allgemeinen Gebrauch" frei. Werdet ihr auch von dort
durch zuständige Beamte verwiesen, dann fügt euch widerspruchslos der Anordnung, aber
weigert euch ,,Strafe" zu zahlen, Meldet mir unverzüglich den Fall.
Es lebe unsere deutsche Heimat, es lebe unser deutscher Wald mit allem,
was darin lebt und webt, es leben alle Forstmänner, die dem deutschen Volke nahe
geblieben sind!
Rudolf Fehrmann Dresden-A. 1, Marschalistraße 20