Beckstein
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    Karl Däweritz, zum Tod von Alfred Barth in [16] 2/1997
   
   

Erinnerungen an Fred Barth

Wenn ich auf die vielen gemeinsamen Kletterjahre mit Fred Barth zurückblicke, bleiben Erinnerun­gen an erlebnisreiche Bergfahrten und - es überwiegt das Lachen. Fred war ein gutmütiger, sehr sensibler Mensch, insgesamt der personifizierte Humor. Bei vielem, was ich mit ihm erlebte, gab er oft ungewollt eine tragisch-komische Figur ab, die zum Schmunzeln nur so herausforderte. Ein sol­ches Erlebnis mit ihm, vielleicht das ungewöhnlichste, soll hier noch einmal lebendig werden. Es war im Jahre 1962. Als Mitglieder der Bergsteigersektion beim SC Einheit Dresden durften wir, erstmals nach Kriegsende, in die benachbarten böhmischen Klettergebiete. Nur Raitza war tabu, dazu die Felsen rund um den Riesenturm im Bielatal sowie im Prebischtorgebiet der Streifen zwi­schen dem damaligen Julius-Fucik-Steig und der DDR-Grenze. Diese Zonen wurden scharf be­wacht. Nachdem wir schon einiges geklettert hatten, reizte uns vor allem die Becksteinkante, war sie doch im alten Kletterführer von 1923 als sehr lohnend angepriesen. Doch der Anstieg lag ge­nau auf dem Grenzweg Fuciksteig. Was tun? Erlaubt oder verboten? „Die Grenzer werden euch schon nicht herunterballern", rieten uns Kletterer aus Decin. „Wenn ihr an der scharfen Kante hängt, sieht doch jeder Posten, daß ihr keine Heimlichkeiten vorhabt." Also ran an die Kante. Es war der 29. Juli und ein Traumwetter. Ich sicherte Fritz Eske; Günter Kalkbrenner und Fred bil­deten die zweite Seilschaft. Wir genossen die Freude, an der Kante hochzuturnen. Fritz hatte schon den Gipfel erreicht und forderte mich auf nachzukommen. Kalki saß neben mir am 2. Ring und wollte gerade Fred vom 1. Ring hochsichern, als unten tschechische Grenzer um die Ecke stürmten und irgendetwas nach oben brüllten. Schnell war ich vom Ring weg und noch schneller \m schützenden Ausstiegskamin verschwunden. Beim Klettern hörte ich Freds stereotypen Kau­derwelsch: „Nix verstehen, nix verstehen!" Als ich oben bei Fritz ankam, krachten unten mehrere Schüsse. „Du Fritze", griente ich schadenfroh, „jetzt schießen sie unserem Fred ein paar Bohnen in den Arsch." Leider blieb mir nicht viel Zeit zum Lachen. Vom nahen Massiv, mit uns in gleicher Höhe, rückte ein anderer Trupp vor. Einer der Soldaten schrie auf uns ein, ein anderer legte seine MPi an, und schon pfiff eine scharfe Salve um meinen Kopf. Mit dem Schreckensruf „Schreib mich mit ein!" sprang ich in den Kamin des Alten Weges (ich bin seitdem nie wieder in einen Kamin ge­sprungen). Fritz, der gerade genüßlich im Gipfelbuch blättern wollte, kam kurz danach hinterher­gesaust. Etwas später auch Kalki.
Als wir wieder auf dem Fuciksteig ankamen, war Fred, inzwischen vom Ring zurückgeseilt, von den Grenzern umringt, und wir hörten ununterbrochen sein Geradebreche: „Kamerad, warum bumbum, Kamerad, warum bumbum?" Ein Gaudi ohnegleichen. Doch die Soldaten, mit angeleg­ter Waffe, schnitten grimmige Gesichter und ließen sich zu keiner Antwort herauslocken. Uns drei umstellten sie auch sofort. Wir durften weder zu unseren Rucksäcken noch uns umziehen, bis ein weiterer Trupp mit Handschellen und einem Diensthund bei uns eintraf. Unmißverständlich wurde uns danach klargemacht, die Sachen einzupacken und die Rucksäcke aufzunehmen. Dann trat der Grenzer mit den Handschellen auf Fritz zu und forderte ihn auf, seinen Arm vorzuhalten. Fritz begehrte zwar, von uns angestachelt, auf, sich dabei theatralisch auf die Brust klopfend, und rief: „Lieber laß ich mich erschießen!" Doch als der Hundeführer näher trat und der ausgewachsene Schäferhund drohend seine Zähne zeigte, wurde unser lieber Fritze friedlich wie ein Lämmchen. Klick-klick waren er und Fred sowie Kalki und ich zusammengeschlossen, und ein wunderlicher Zug setzte sich in Bewegung. Wir im Räuberzivil, vor und hinter uns Bewachung, dicht neben mir der Hund, der sofort knurrte, wenn ich mich mal umdrehte.
Ab ging es in Richtung Prebischtor. Es war ein einmaliges Bild. Vor mir tänzelte mein Freund und Trainer Fred, barfuß und in Handschellen, wie ein Landstreicher über den Fuciksteig, an ihn gekettet Fritz, wutschnaubend und zutiefst von Freundeshand in Freundesland in seiner Ehre verletzt. Ich mußte, an Kalki gefesselt, mehr im Dauerlauf hopsen als gehen, da ich, noch den Rucksack auf dem Rücken, bei dessen Schrittweite nicht mithalten konnte, und hatte bald kaum noch Luft für blödelnde Bemerkungen. Doch als uns in der Nähe des Prebischtores immer mehr Wanderer und Ausflügler begegneten, erlosch jäh meine Freude an diesem Gaudi. Ich stellte mir mit Schrecken vor, wenn Kollegen oder Schüler aus meiner Schule mit ihren Eltern hier auftauchen würden. Glücklicherweise verschonte mich das Schicksal mit einem derartigen Tiefschlag.
Der Rest des Tages verlief relativ schmerzlos. In Hrensko wurden wir unter Bewachung in einen Raum gesperrt, jeder mußte, mit dem Gesicht zur Wand, in einer anderen Ecke stehen. Kalki wurde als erster zum Verhör mitgenommen. Als er endlich wiederkam, konnten wir gehen. Es war ihm gelungen, den Kommandeur zu besänftigen. Leider haften wir noch einen weiten Weg zurück zu unseren Motorrädern, die am Eingang zum Großen Prebischgrund standen. Dafür haften wir viel Zeit, das Erlebte noch einmal gründlich durchzuhecheln. Am anderen Tag bestiegen wir den Ka­stenturm, vier Tage später gelang Fritz mit seiner bewährten „Viererbande" die Erstbegehung der Dresdener Wand an diesem Felsen. Es war der Ausklang unserer ersten Fahrt ins Böhmische.

In diesem Sommer sind 30 Jahre vergangen, seit Fritz und Kalki in der Eiger-Nordwand den Berg­tod starben. Fred haben wir im Februar die letzte Ehre erwiesen. Mir bleibt die Erinnerung an eine schöne Zeit voller Abenteuer. Ich würde gern heute sonst wie weit in Handschellen durch die Ge­gend ziehen, könnte ich dafür noch einmal mit diesen wunderbaren Freunden auf einen Gipfel steigen.

     

 

 

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