1. Begehung des Südwest-
und des Wettersteinerweges
am Großen Halben
von Herbert König
Ich blättere
in meinem Tourenbuch und lasse vergangene Stunden an meinem Geiste vorüberziehen.
Ist nicht die Erinnerung, die Nachfreude über gelungene schwere
Kletterfahrten, der reichste Gewinn unseres Tuns? Mein Auge bleibt an einer
besonders langen Eintragung hängen. Ich lese: Großer Halben 1. Begehung
des Südwestweges, Karl Ullrich und Herbert König geteilte Führung; eine
Seite später wieder Großer Halben, diesmal 1. Begehung des
Wettersteinerweges, Karl Ullrich, Rudolf Wintracken unter geteilter Führung.
Wie war’s doch gleich gekommen, daß uns diese schönen Wege gelangen?
Und wie ich so sinne, ist mir’s, als sei es erst gestern gewesen und
nicht schon drei Jahre her. Ach so, ich wollte ja erzählen, wie wir
Sieger wurden über die Südwand am Halben.
Der Frühling war wieder mit seinem Grünen und Blühen ins Land gezogen.
Mit all dem neu erweckten Leben da draußen war auch über uns der alte
Tatendrang und die Unternehmungslust gekommen. Nach langer Winterpause
konnten wir endlich Seil und Kletterschuhe in den Rucksack packen, um zu
frisch-froher Tat auszuziehen. Ich freute mich schon darauf, wieder
einsame Gipfel unseres Felsengebirges zu erklimmen und stille, verborgene
Wege zu gehen, ohne auf Schritt und Tritt den vielen lauten Leuten zu
begegnen, denen man beim Schneeschulaufen im Erzgebirge kaum mehr entgehen
kann. Solche entlegnen Türme und Pfade hofften wir im Brandgebiet zu
finden und wir hatten uns darin auch nicht getäuscht. Mehrmals in kurzen
Zwischenräumen haben wir dieses Gebiet aufgesucht. Den ersten Sonntag
benutzten wir dazu, erst einmal unsere Halbenprobleme zu erkunden. Vom Hörensagen
kannte ich zwar diesen Gipfel schon lange, namentlich seine Südwand, in
der noch zwei lange, zum Teil überhängende Risse ihrer Ersteigung harren
sollten. War das nicht genug, jeden Bergsteiger zu begeistern? Trotz
vieler vorsichtiger Fragen konnte ich von früheren Besuchen nichts
erfahren, nur Meister Strubich war einmal hier gewesen und hatte die Wand
mit ihren Rissen durchforscht. Freudig überraschte mich der Anblick
unseres Problems. Im Geiste hatte ich mir längst ein Bild von der Wand
geformt und nun übertraf sie meine kühnsten Erwartungen. 40 m hoch schätzte
ich den Absturz zum Begangsteig. Im linken Teile zieht ein Riss herab, der
im obere Drittel der Wand beginnt, während der rechte, mittlere Riss vom
Gipfel herunterzieht. Den linken wollten Karl und ich versuchen, während
den mittelsten Freund Linus insgeheim sich erkor.
Endlich war’s wieder Sonnabend geworden und morgen hofften wir unsere Pläne
in herrliche Wirklichkeit umzusetzen. Die Nagelschuhe klapperten über das
Pflaster von Rathen. Nicht lange aber, und der Ort lag hinter uns;
nachtsdunkler Wald nahm uns auf. Die zwei Gesellen die in so später
Abendstunde nach der Waltersdorfer Mühle zogen, waren mein Freund
Wintracken und ich. Zwei Klubkameraden waren schon nachmittags gefahren um
einen Biwakplatz ausfindig zu machen und denselben etwas vorzurichten. Vor
allem war es jetzt noch nötig Holz zu sammeln, schrieben wir doch erst
April und die Nächte waren noch recht kalt. Als Treffpunkt hatten wir die
Gautschgrotte bestimmt. Etwas fröstelnd ging’s hinab ins Polenztal. Der
Mond blickte zeitweise durch die dunklen Wolken und erleuchtete fast
tagehll unsaeren Weg. Die tiefe Stille der Nacht wurde nur unterbrochen
durch das Rauschen der Polen z oder durch einen Windstoß, der
durch die Baumkronen brauste. Vor uns schimmerte ein Licht durch den Wald:
die Waltersdorfer Mühle. Auf einer Brücke ging’s über die Polenz
hinweg, den Schindergraben hinauf. Keuchend kamen wir bergan, die schweren
Rucksäcke manchmal zu allen Teufeln wünschend. Aber auch das ging zu
Ende, und aufatmend betraten wir den Begangsteig. Oberhalb lag die Burg
Hohnstein, auch von dort bohrte sich eine einsamer Lichtschimmer in das
dunkel der Nacht. Am Großen Halben, wo der Weg eine scharfe Biegung
macht, traten zwei Gestalten auf uns zu. Karl Ullrich und Walter Hegewalt
, unsere Klubkameraden, waren es. Vereint ging der schweigende Marsch
weiter. Bald lag wieder die Mondhelle Landschaft vor uns. Den Pfad umsäumten
niedrige Pflanzungen. Tief unten lag in weißem Schimmer das Polenztal.
Nicht lange mehr und wir konnten den Rucksack abwerfen. Der Biwakplatz war
erreicht. Unsere Gefährten hatten inzwischen Kiefernzweige und
Farrenzweige als Unterlage gesammelt und viel trockenes Holz
aufgeschichtet. Ich übernah, wie immer am liebsten, die letzte
Feuerwache. Da wir nur vier man waren hatte jeder 1 1/2 Stunden Dienst.
Bald lag alles - bis auf den Feuerwächter - in tiefem Schlaf. Nach
raschem Frühstück begaben wir uns am anderen Morgen an unser
Kletterziel, wo wir mit drei Klubkameraden zusammentrafen, die den Frühzug
benutzt hatten. Wir packten den Felsen an. Der linke Riss sollte heute
versucht werden. Also waren Karl Ullrich und ich an der Reihen. 8 m über
dem Begangsteig zieht ein breites, überwölbtes Band durch die ganze Südwand,
dort beginnen stark überhängen d die beiden Risse. Von mir unterstützt
kam Karl gut in den Riß hinein und stieg auch flott vorwärts. Doch nach
einigen Metern wurde die Sache ungemütlicher; glatt und überhängend drängte
es ihn stark nach außen. Nach langem Zögern entschloß sich Karl hier
einen Ring zu schlagen. Weit links in der Wand keilte er einen kleinen
Ringhaken ins Gestein. Ich kam bis dorthin nach; das nun folgende Stück
war eigentlich leichter als wir als wir erst gedacht hatten. Immerhin sind
die Schwierigkeiten noch ziemlich groß und unser Ring war durchaus nicht
überflüssig. Karl war jetzt kurz vor dem Ende des Risses. Noch ungefähr
2 m zog er eng und stark überhängend hinauf. Unmöglich zu durchsteigen.
wir mußten versuchen nach links zu einem Kamine zu gelangen. Um eine
Sicherungsmöglichkeit zu schaffen, wurde ein zweiter Ring geschlagen, was
in dem außerordentlich harten Gestein eine sehr langwierige Arbeit war.
Das Wetter hatte sich auch zu seinen Ungunsten verändert, der Tag hielt
nicht, was der Morgen versprochen. Ein feiner Regen sprühte herab und
erschwerte unsere Arbeit. Ein Vorsichtiger riet schon zum Aufgeben des
Versuchs. Wir zwei wollten davon nichts wissen. Karl hatte nun seinen Ring
verkeilt und holte mich nach. Vertrauenerweckend sah das kommende Stück
nicht aus. Mein Gefährte murmelte sogar etwas von Abseilring. Ich war
aber frohen Mutes, seilte mich ein uns gut gesichert schaute ich mir die
Sache aus der Nähe an. Links schwach aufsteigend konnte ich ein Band mit
guten Griffen erreichen. Nur sehr brüchig war auf einmal der Fels
geworden. Noch 2 m und ich konnte den Kamin erreichen. Aber glatt schwarz
und grifflos sah das Zwischenstück aus. Immerhin, versucht mußte es
werden. Ganz langsam und vorsichtig stützte ich mich durch und konnte
gerade einen Griff am Ende des Kamins erlangen. Bald war es geschafft. Der
weitere Weg schien uns nun sicher zu sein. Nach einem kleinen Kaminstück
folgte ein kurzer überhängender Riß. Dann querte ich in schöner
mittelschwerer Wandkletterei abermals nach inks und erreichte die
Westkante und über diese in wenigen Metern den Gipfel. Das Schlußstück
ist sehr lohnend und nicht schwer. Jubelnd verklang mein Heilruf, den
Kameraden unseren Erfolg verkündend. Sechs lange Stunden
hatte uns der Weg zu schaffen gemacht. aber desto größer war jetzt
unsere Freude, eine Stunde des Sieges genossen wir auf diesem einsamen schönen
Gipfel. Inmitten all der Schönheit um uns hielten wir eine lange lange
Gipfelrast.
Zwei Wochen waren seit dem verstrichen, wieder war unser Ziel der Große
Halben mit seiner Südwand. Zu dritt fuhren wir bereits Sonnabend Abend
nach Rathen. Diesmal schliefen wir im Raaber Kessel. Die Nacht war sehr
kalt und stürmisch, einmal trug uns der wind sogar die Decke von den Füßen
fort. Mit dem ersten Morgengrauen stieg ich mit Ullrich die Höllenhundspitze
Südwand an. Schon früh 1/2 7 Uhr trugen wir freudig die 21. Begehung
diesen prächtigen Weges Strubichs ins Gipfelbuch ein. Als wir kurze Zeit
später in den Raaber Kessel hinab tollten war’s bereits mit der schönen
Ruhe vorbei. Der Zug war angekommen und nun erwachte überall das Leben.
So flüchteten wir über den Hockstein hinab ins Polenztal. Dann ging’s
jenseits wieder aufwärts zum Halben. Wieder am Halben! Wird uns auch
diesmal der Erfolg beschieden sei, oder werden wir abends geschlagen heimwärts
wandern? Schon nach kurzer Zeit standen wir unter dem großen Überhang,
mit dem auch dieser Riß beginnt. Keuchend arbeitete sich der Erste darüber
hinweg. Der Überhang ist gar nicht allzu schwer, es gehört nur ein bißchen
Schneid dazu. Nun folgten einige Meter gut gangbarer Riß, doch bald wurde
es sehr eng und glatt. Unser Führer entschloß sich hier einen Ring zu
schlagen und Karl nachzuholen. Bald wurde die sonntägliche Stille durch
unsere Hammerschläge unterbrochen. Unterstützt ging nun der Führer
weiter, bis ein großer Überhang den Riß unterbrach. Jetzt kam die
Entscheidung. Einige Meter über diesem Überhang versperrte ein zweiter,
noch größerer unseren Weg. Diese beiden Hindernisse sahen sehr
bedenklich aus. Namentlich den Schlußüberhang war uns noch ein großes
Fragezeichen. Abermals mußte ein Ring geschlagen werden. Wir stiegen alle
beide zum Ring nach. Karl unterstützte während ich die Sicherung übernahm.
Höchstens 8 m trennten uns noch von dem Gipfel, tief lag schon die Wand
unter uns. Unser Führer steig an. Ein kräftiger Klimmzug, ein paar mal
durchgezogen und aufatmend stand er unter dem letzten überhange. Bis hier
her ging es ganz gut doch weiter hin sah der Fels doch zu abweisend aus,
weit drängt er sich vor, als wollte er jeden Angriff vereiteln. Der Erste
gab nach einem mißglückten Versuch die Führung auf. Unser erprobter
Karl Ullrich ging nun voran, er wollte sein Heil versuchen. Auch ich erklärte
mich zu guter letzt bereit einen Versuch zu machen. Von uns unterstützt
stieg Karl den Überhang an. Mit der linken Seite verklemmt, schob er sich
langsam, ganz langsam vorwärts. Er wollte schon aufgeben, da entdeckte er
an der Rückenseite einen Gegenriß und mit diesem zog er sich hoch. Der
Sieg war unser. Freudig schallten die Rufe vom kleinen Halber herüber, wo
die Gefährten unserm Kampf zugesehen hatten. Bald noch schwerer als das
erste Mal war uns heute der Erfolg gemacht worden. Glücklich drückten
wir uns die arg zerschundenen Hände. Mit den Problemen am Halben war’s
nun vorüber. Als Wettersteinerweg trugen wir unseren Anstieg in das
kleine Gipfelbuch ein, den ersten weg hatten wir Südwestweg genannt. Lange,
Lange verweilten wir auch diesmal auf dem Gipfel. - Lange Zeit ist darüber
hingegangen. Aber manchmal, mitten im Getriebe der Großstadt, packt mich
die Erinnerung an Kampf und Sieg. Und ich denke der Berge, die das Glück
mir schenkten.