Fünfzig
Jahre Klettergipfel Barbarine
Die Jubiläumsbesteigung
Am 19. 9.
1905 erstiegen Dr. Rudolf Fehrmann und Oliver Perry-Smith nach zweitägigen
Versuchen die Barbarine zum ersten Mal. Am 50. Jahrestag zur Barbarine
zu wallfahrten, war für uns selbstverständlich. Mein Kletterfreund Rolf
tauschte an diesem Montag im Jahre 1955 die Werkbank mit dem Fels.
Grund: Krankheit.
Wir ahnten, daß viele Interessenten kommen würden und verabredeten uns
sehr zeitig. Kurz nach vier Uhr fuchtelte jemand an unserem Fenster. Es
war Rolf, der uns weckte. Mit Eberhard keuchten wir drei bald den Waldhang
zum Pfaffenstein empor. Flott war der Einstieg zur Barbarine erreicht.
Allmählich wich die Finsternis einem blaugrauen Fahl, in dem eine
Fledermaus über uns knurrte. Nach kurzem Imbiß beim Weichen des Dunkels
knobeln wir um die Reihenfolge bei der geteilten Führung. Rolf fällt das
schwere Stück zwischen den beiden Ringen zu, mir Anfang und Ende. Während
wir steigen und nachholen herrscht Totenstille, nur ab und zu unterbrochen
von Schreien der Turmfalken, Mäusebussarde und Eichelhäher. Nach Rolf
kommt Eberhard zur Kanzel nach. Rolf steigt an und hängt binnen kurzem am
zweiten Ring ein und holt Eberhard nach. Nun erscheint Paul Jacob am Fuß.
Er feiert heute seinen 61. Geburtstag und gab am Vortag seine Zusage zu
kommen. Er klimmt zur Kanzel nach, dann holt Rolf mich nach, und ich
steige gleich vorbei zum Gipfel.
Seit einiger Zeit bewegt es sich unten geschäftig. Es folgt die
Seilschaft von Hans Heilmaier auf dem Fuße. Bei uns kommen Eberhard, Rolf
und Paul bald zum Gipfel nach. Trotz eines Sturzes am Vortag führt einer
der beiden jüngeren Kameraden Hans Heilmaiers. Im Riß spürt er die
moralischen Nachwehen und steigt bei uns nach. Ihm folgt Hans, danach
deren dritter. Nun wird der Platz knapp auf dem Gipfel. Zwei Mann seilen
ab, damit Richard Fritsch und Kurt Schöne auf dem Gipfel Platz finden.
Mit Günther von unserem Klub sitzen wir zu acht eine Weile, jeder hält
sich am Zipfel einer Schlinge fest, die zum Abseilring führt. Wir
lauschen, als Hans, Paul, Kurt und Richard in der Erinnerung kramen.
Zum Beispiel hat man lange um den Besitz der Barbarine gerechtet. Zur Zeit
gehört der Alte Weg Keilers und die Talseite Arno Größler. Paul Jacob
hatte die erste Besteigung als 11 jähriger gesehen. Damals hatte sich der
Rucksack mit dem Schlagzeug im Riß verklemmt. Daher stiegen die
Erstbegeher die Gipfelköpfe zurück. Hans Heilmaier kannte die Ereignisse
des Jahres 1905 auf Tag und Stunde genau. Er mußte nun bald weg und
seilte ab. Die anderen folgten. Günther, Rolf und ich blieben noch eine
Weile. Schaulustige auf der Aussicht wollten bald etwas sehen. Sie
begannen Schoppen und Bockwürste zu bieten. Eine heraufgezogene junge
Birke fiel erst noch einmal hinunter, ehe sie sich im ehemaligen
Gipfelbuchloch fest verkeilen ließ. Noch immer stauten sich die
Zuschauermassen auf der Aussicht; denn durch den Aushang von Roland
Hegenbart waren alle Schandauer Ferienheime erschienen und von Krippen
gleich drei Sonderbusse.
Durch die Taubenschlucht erreichten wir Keilers, die zwar das Gästebuch
von 1905 nicht fanden, dafür aber die Mittel für eine Runde Helles. Auf
Wunsch der älteren Bergkameraden erkletterten wir noch den Jäckelfelsen
über den Alten Weg. Das goldene Licht eines sonnigen Nachmittags flutete
über Berge und Wälder. Auf dem Weg zur Barbarine-Aussicht erfuhren wir
von den Sommergästen, daß heute morgen acht Mann auf dem Gipfel gesessen
und sogar eine Birke hinaufgeschafft hätten. Wir sollten es uns nur
einmal ansehen. Nun sahen wir, wie von einer Dreierseilschaft der erste
gerade am Gipfel nachholte. Auch sie hatten ein grünes Sträußchen
mitgebracht. Am Gasthaus gingen wir auseinander, die einen nach Hause und
die anderen nach stundenlangem Zuschauen endlich wandern, zweimal
unterstrichen.
Unsere Seilgefährten bei diesem Jubiläum hatten noch die Zeit ohne
Schlingen und Karabiner erlebt. Für uns knüpften sie das Band von der
Erschließung zur Tradition im sächsischen Bergsteigen.
Dietland Müller-Schwarze